Sonntag, 3. August 2014

Christen im Mittleren Osten Auf der Abschussliste der Islamisten

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Christen im Mittleren OstenAuf der Abschussliste der Islamisten

Die orientalischen Kirchen sind der Ursprung des Christentums. Jetzt werden sie von Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ ausgelöscht. Bald wird es im Mittleren Osten keine Christen mehr geben.

© KNUT MUELLER / VARIO IMAGESVergrößernEine zweitausend Jahre alte Geschichte droht an ihr Ende zu kommen: Eine assyrische Christin im nordirakischen Dianah.
Das Christentum ist heute in Syrien und im Irak, also an den Stätten, wo es in der Spätantike seine erste Blüte entfaltet hatte, in seiner Existenz bedroht. In Damaskus findet man immer noch die Gerade Straße, auf der Saulus zum Paulus wurde. Doch ganz in der Nähe, in der Ortschaft Maalula, wo noch bis vor kurzem die Sprache Jesu, Aramäisch, gesprochen wurde, haben islamistische Extremisten das Kloster der Heiligen Thekla aus dem vierten Jahrhundert geschändet und zerstört. In der Hügellandschaft um Aleppo hatten Säulenheilige wie Simeon erstmals eine strenge Askese praktiziert. Dort haben Krieger des Islamischen Staats, an deren Spitze ein selbsternannter Kalif steht, zwei Bischöfe entführt und mutmaßlich getötet. Die Evangelisten Matthäus und Lukas berichten, wie das Volk von Ninive, dem heutigen Mossul, durch Jonas von allem Bösen erlöst worden sei. Doch soeben haben in Mossul die Krieger des Dschihad die Christen vertrieben und das Grabmal des Jonas vernichtet.
Die meisten von uns halten das Christentum für eine westliche Religion. Bestenfalls ist uns das Schisma des Jahres 1054 bewusst, das die Trennung von Rom und Konstantinopel, von der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen vollzogen hat. Doch schon viel früher, im vierten und fünften Jahrhundert, führten machtpolitische Interessen, theologische Kontroversen und unterschiedliche philosophische Traditionen zur Trennung der alten orientalischen Kirchen von Konstantinopel und der zentralistischen Kirche von Byzanz.

Die aufgefächerte Kirche

Das Urchristentum und die Urgemeinde hatten ihre Blüte im Morgenland, das dem Abendland kulturell und zivilisatorisch damals weit voraus war. Von den fünf frühchristlichen Patriarchaten, der Pentarchie, lagen drei – Alexandria, Antiochien und Jerusalem – im Orient. Rom lag im Westen, Konstantinopel zwischen Ost und West. Alexandria wurde zur Kirche der Kopten und Afrikas, Antiochien zur Kirche des Ostens, und auf Jerusalem erheben alle Anspruch. Große Theologen aus dem Osten – wie Origines (185–251), Ephräm der Syrer (306–373) oder Gregor von Nyssa (335–394) – brachten die Entwicklung der christlichen Dogmatik voran.
Die Blüte des frühen Christentums im Orient war möglich, weil im Reich der persischen Parther, das religionspolitisch liberal war, die Christen ihren Glauben zu einer Zeit ungehindert praktizieren konnten, da sie die Römer noch verfolgten. Erst 380 wurde das Christentum im Römischen Reich Staatsreligion. Zudem überlappten sich im Osten Anatoliens der römische und der persische Kulturkreis. In Städten wie Edessa (heute Urfa) und Nisibis (heute Nusaybin) pulsierte das geistige Leben, theologische Grundfragen wurden kontrovers diskutiert. In der christlichen Grenzstadt Edessa gab es viele Sekten, die ihre Dogmen noch nicht festgelegt hatten. Die Kirche, die sich später durchsetzen sollte, war noch in der Minderheit. Nisibin war ein Zentrum für die Übersetzung griechischer Philosophie. Viele Häretiker fanden dort Schutz. Es wurde ein Zentrum für die nestorianischen Christen, die von Byzanz verstoßen waren, weil sie die Lehre von den zwei Naturen Christi ablehnten.

Christen im Mittleren OstenAuf der Abschussliste der Islamisten


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In den Jahrhunderten vor der Eroberung durch die muslimischen Araber konsolidierte sich das Christentum im Großraum Levante, Mesopotamien und Anatolien. Die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse brachten viele altorientalische Kirchen hervor, die bis heute das Christentum bereichern. Etwa die Assyrische Kirche des Ostens oder die syrisch-orthodoxe Kirche, aber auch mit Rom unierte Kirchen wie die der Chaldäer oder der Melkiten. Die Republik Irak erkennt vierzehn Kirchen an, aber auch andere nichtmuslimische religiöse Minderheiten wie die Yeziden, die Schabak oder die Sabäer. Auch sie stehen, wie die Christen, auf der Abschussliste der Krieger des Islamischen Staats.

Missionare in China

Die alten orientalischen Kirchen sind uns, die wir in den lateinischen Kirchen des Westens groß geworden sind, mit ihrer archaischen Liturgie und ihrer Theologie, die nicht intellektuell das Wort Gottes auslegt, sondern den hymnischen Lobpreis Gottes in den Mittelpunkt stellt, fremd. Würde ein Christ aus der Zeit des frühen Christentums heute wieder auf die Erde kommen, wäre ihm der Islam vertrauter als die modernen lateinischen Kirchen, von den evangelikalen Christen Amerikas ganz zu schweigen. Viele byzantinische Christen sahen in der jungen Religion des Islams nur eine weitere Häresie. Der große Theologe Johannes Damascenus (650– 754) aus Damaskus begrüßte die Konversion der vormals heidnischen Araber, er betrachtete den Islam als eine Häresie, die aus dem Arianismus erwachsen sei. Die frühchristliche Sekte der Arianer lehnte nämlich die Trinitätslehre ab und erkannte nur Gottvater als Gott an.
Vom vierten Jahrhundert an lebten sich die orientalischen und westlichen Christen auseinander. Zu den großen theologischen Streitpunkten gehörten die Natur Marias und die Jesu Christi. Im Orient setzte sich die Lehre von Maria als der „Mutter Christi“ durch, der Westen inklusive der Orthodoxen verehrt sie indes als „Mutter Gottes“. Die orientalischen Kirchen sprechen zudem Christus nur eine Natur zu, für sie gehen die menschliche und göttliche Natur in ihm eine Synthese ein. Im Unterschied zur Lehre der westlichen Kirchen, die die Zweiheit von Gottheit und Menschheit in Jesus Christus hervorheben. Hinzu kam, dass viele Christen im Orient gegen die Zentralisierungsversuche der byzantinischen Reichskirche aufbegehrten und dass Bischöfe, die unter persischer Herrschaft lebten, nur an den ersten zwei Konzilen, denen in Nizäa (325) und Konstantinopel (381), teilnehmen konnten. Da sie die Debatten der folgenden Konzile nicht mehr beeinflussen konnten, lehnten sie deren Ergebnisse ab.
Auf dem Konzil von Ephesus (431) wurde ein doppelter Disput ausgetragen. Es ging vordergründig darum, ob dem Patriarchen von Konstantinopel oder dem von Alexandria der Vorrang zustehe; überlagert wurde der kirchenpolitische Machtkampf von der Frage nach Marias Natur. Der Patriarch von Konstantinopel, Nestor, vertrat die Position, Maria sei „Christotokos“ (Christgebärerin). Nestor verlor gegen den Patriarchen von Alexandria, Cyrill, und wurde exkommuniziert. Die „assyrische Kirche des Ostens“ von Antiochien folgte aber Nestor, spaltete sich ab und wurde fortan nestorianisch genannt. Ihre Missionare waren in Indien aktiv und kamen bis nach China.

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Ein tragisches Ende ist in Sicht

Das Konzil von Chalzedon (451) vertiefte die Spaltung. Der Patriarch von Alexandrien wurde in die Verbannung geschickt, so dass Konstantinopel wieder Vorrang hatte. Theologisch entschied es, Christus sei zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch, und erhob die Trinität zum Dogma. Die Kirchen des Orients aber beharrten auf der Position, Christus habe nur eine Natur. Ihre Kritiker belegten sie mit dem Schimpfwort „Monophysiten“, was die „Einzigheit der Natur“ in den Vordergrund stellt. Sie selbst nennen sich aber „Miaphysiten“, sie betonen damit die „Einheit“ der zwei Naturen Christi. Diese Miaphysiten machten einen bedeutenden Teil der frühen Christen aus. 484 nahm die „Kirche des Ostens“, die sich 424 für unabhängig erklärt hatte, die Lehre Nestors als verbindlich an. Damit solidarisierten sie sich auch politisch mit ihrem Persischen Reich, das mit Konstantinopel im Kriegszustand war. Die byzantinische Reichskirche verfolgte ihrerseits alle Christen, die die Konzilien nicht anerkannten.
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Von diesen orientalischen Christen haben die frühen Muslime viele Praktiken übernommen. Etwa die Prostration, das Sich-Niederwerfen beim Gebet. Auch das Minarett als Turm, von wo zum Gebet in einen Innenhof gerufen wird, geht auf Vorbilder in alten syrischen Kirchen zurück. Außerdem hatten alte Klöster, wie etwa Mar Saba bei Bethlehem, eine Gebetsnische nach Osten; daraus wurde die Kibla der Moschee. Das Gebet auf dem Teppich stammt von den armenischen Christen, die seit 301 die erste Staatskirche überhaupt gründeten und unter Berufung auf den brennenden Dornbusch (2. Buch Mose 3: „Zieh deine Sandalen aus, denn du stehst auf heiligem Boden.“) zum Gebet die Schuhe abstreiften. In der Archäologie bleibt die arabische Eroberung des siebten Jahrhunderts unsichtbar. Die Herrscher wechselten, das Leben ging weiter wie zuvor. Viele christliche Meisterwerke, etwa Mosaiken, entstanden erst nach der arabischen Eroberung. Die arabischen Konquistadoren verfolgten keine Christen und zerstörten keine Kirchen.
Der große Exodus setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Er beschleunigte sich im 21. Jahrhundert, zumal durch die Invasion im Irak unter George W. Bush 2003. Die irakischen Christen wurden Geiseln. Zum Verhängnis wird den orientalischen Christen auch, dass sie nur unter säkularen Diktaturen eine Zukunft für sich sehen, wie heute in Ägypten unter Abd al Fattah al Sisi und in Syrien unter Baschar al Assad. In diesen Staaten bringt das viele gegen sie auf. Die jüngste Vertreibung im Juli wurde im Norden des Iraks durch den in seiner Intoleranz einzigartigen Islamischen Staat in Gang gesetzt. Die 2000 Jahre alte Geschichte des orientalischen Christentums nähert sich ihrem Ende.

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