Nie wieder Krieg von deutschem Boden? Bundesregierung plant Abschaffung des Parlamentsvorbehalts bei Kriegseinsätzen
19.05.2015 • 14:12 Uhr
Deutsche Bundeswehr in Afghanistan. Quelle: ISAF Headquarters Public Affairs Office CC BY 2.0
Was seit Jahres medial vorbereitet wird und auch durch
Bundespräsident Joachim Gauck auf höchster politischer Ebene
vorangetrieben wird, soll nun auch gesetzlich verankert werden: Die
außenpolitische Wende Deutschlands hin zu einer offensiven Kriegspolitik
zur Durchsetzung von EU- und NATO-Interessen. Da die Mehrheit der
deutschen Bevölkerung für eine solche Politik nicht zu haben ist und
auch vom Parlament immer wieder Widerstände gegen deutsche
Kriegseinsätze zu erwarten sind, soll dieses nun ausgehebelt werden.
Eine Kommission, angeführt vom ehemaligen Verteidigungsminister Volker
Rühe (CDU) bereitet die Abschaffung des Parlamentsvorbehaltes gegen
Auslandseinsätze der Bundeswehr vor.
von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild
"Vom deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen", sagte einst
Bundeskanzler Willy Brandt. Nun ja, die Zeiten haben sich geändert.
Deutschland solle doch besser wieder eine "aktivere" Rolle in der Welt
spielen, Kriegseinsätze dienen dabei vor allem dem Schutz vor
terroristischen Gefahren und zum Herbeiführen von "Demokratie" in den
angegriffenen Ländern, so lautet stattdessen immer wieder die Litanei
bellizistischer Meinungsmacher und politischer Entscheidungsträger.+
Der Weg zu diesem Ziel führt über allerlei präsidiale Sonntagsreden, in
denen die Wende der deutschen Außenpolitik hin zum offenen Militarismus
in blumige Worte gepackt wird, den stattgefundenen Umbau einer
Verteidigungsarmee von "Bürgern in Uniform" hin zu einem Berufsheer und
über die gezielte materielle Aufrüstung der Truppe, wie sie
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen seit ihrem Amtsantritt
umsetzt.+
Da kommt es wenig gelegen, wenn andere gesellschaftliche und politische
Akteure - etwa das gewählte Parlament - im Wege stehen. Etwa wenn es
mal wieder darum geht, andere Länder zu bombardieren, deren natürliche
Ressourcen für den Westen interessant sind, dort aber ein
kooperationsunwilliger Herrscher die Ausbeutung dieser Vorkommen durch
die NATO- und EU-Staaten verhindert. Das westliche Wohlstandsmodell
benötigt schließlich seinen Treibstoff. Zu viel Demokratie stört da nur.+
Mit gutem Grund und als Lehre aus der Geschichte gibt es in Deutschland
bezüglich Kriegseinsätze an denen das deutsche Militär beteiligt ist,
den so genannten "Parlamentsvorbehalt gegen Außeneinsätze der
Bundeswehr". Jeder Kampfeinsatz der Truppe muss bisher von den gewählten
Repräsentanten im Bundestag diskutiert und abgestimmt werden. Auch wenn
sich die Parlamentarier hier in der Regel als willfährig erweisen und
die Kriegsvorhaben der Exekutive durchwinken, ist diese gesetzliche
Regel ein besonders wichtiges Instrument, um die Diskussion über Kriege
die von deutschem Boden ausgehen, überhaupt auf die
gesellschaftspolitische Agenda zu setzen. Auch können durch ein solches
parlamentarisches Kontrollsystem Kriege durchaus verhindert werden, wie
es etwa das britische Unterhaus im August 2013 tat,
als darüber abgestimmt wurde, ob sich Großbritannien an der
Bombardierung Syriens beteiligen sollte. Die Briten stimmten dagegen,
anschließend ließen auch die US-Amerikaner ihre Pläne fallen.+
Wie der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär (1988-1992) im
Verteidigungsministerium der Regierung von Helmut Kohl, Willy Wimmer,
bereits im Juni 2014 warnte, soll in Deutschland nun dieser Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr gekippt werden.+
Unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) wurde bereits am 20. März 2014 "Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte"
bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gegründet, auch "Rühe-Kommission"
genannt. Das Vorhaben ist ebenfalls im Koalitionsvertrag der aktuellen
Regierung festgehalten.+
Laut Rühe
komme es darauf an, dass sich die NATO auf Deutschland "verlassen"
können müsse und "die gesicherte Zurverfügungstellung der Fähigkeiten,
die ich transnational nenne“ gesichert wird. Wenn es nach Rühe geht,
darf es künftig nie wieder vorkommen, dass sich der Bundestag
gemeinsamen Aktionen der Nato in den Weg stellt.
In einem Interview im Deutschlandfunk verkündete Rühe:
+
"[...] und ich denke, es wäre gut, wenn die Bundesregierung, wenn das in der NATO abschließend geregelt ist, ins Parlament geht und dem Parlament berichtet, in welche Abhängigkeiten wir uns begeben haben und was von uns erwartet wird, wenn wir die anderen nicht lahmlegen wollen. Das sollte das Parlament zustimmend zur Kenntnis nehmen."Argumentativ zur Seite steht Rühe bei seiner Kampagne wenig überraschend die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Rühe-Kommissions-Mitglied Roderich Kiesewetter (CDU), Andreas Schockenhoff (CDU) (†) und Niels Annen (SPD). So gab letzterer Beispielsweise zu Protokoll:
"Wenn sie [von der Leyen] darauf abzielt, Kompetenzen des Bundestags an das Europäische Parlament zu übertragen, denken wir in eine ähnliche Richtung."Wer die Struktur der EU kennt, weiß, dass das Europäische Parlament jedoch wenig Mitspracherecht bei substanziellen Entscheidungen hat. Diese werden vielmehr von der EU-Kommission und verschiedenen Ministerräten getroffen, die am ehesten als Bürokraten-Junta bezeichnet werden können.
Dass all diese Kriegsstrategen grundgesetzwidrig handeln, scheint diese
nicht weiter zu stören. Im Jahre 1994 urteilte das deutsche
Bundesverfassungsgericht über den Einsatz der Bundeswehr in Somalia ein
Jahr zuvor (BVerfGE 90, 286) in Bezug auf den Parlamentsvorbehalt:
+
"Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind – in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung – stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als ‹Parlamentsheer› in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluss auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern."Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen, hieß es nach den Schrecken vor 70 Jahren. Wer allerdings glaubt diese Formel sei gesellschaftlicher Konsens, der irrt. Es gibt Entscheidungsträger und Meinungsmacher, die gezielt daran arbeiten, dass dieser Leitsatz mehr und mehr zu einem frommen Wunsch verkommt. Sie handeln strategisch und sie haben Namen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen