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11. NOVEMBER 2013
TAIFUN „HAIYAN"Nach dem Taifun kommt die Angst
Von WILLI GERMUND
Apokalyptisch: Tacloban auf den Philippinen nach dem Taifun. Foto: dpa
Der Mann weint bitterlich. Er umklammert mit der rechten Faust ein Bündel schwarzer Haare. „Das Haar war um ein Gitter gewickelt, wo ich zwei meiner Kinder tot gefunden habe“, erzählt er unter Tränen. Marvin Isanan wollte seine Frau und drei Töchter in der Nähe haben, während der Monstertaifun „Haiyan“ über seine Heimatstadt Tacloban City hinwegfegte. Der Wächter brachte die Familie am Freitag zu seiner Arbeitsstelle, dem Flughafen, mit. Er wollte das Beste für sie – und verursachte das Schlimmste.
Der Flughafen liegt auf einer Halbinsel vor der Stadt, die am Freitag von Wirbelsturm „Haiyan“ zu 80 Prozent dem Erdboden gleich gemacht wurde. Er wurde von den Wellen überflutet, die der Taifun vor sich hertrieb. Die Mädchen ertranken ebenso wie Tausende anderer Filipinos. „Alle Berichte über Opfer sind bislang einzelne und nicht zusammenhängende Darstellungen“, kommentiert ein Diplomat in der Hauptstadt Manila Berichte aus dem Osten des Katastrophengebiets, wonach bis zu 10.000 Tote unter den Trümmern von Tacloban liegen, „aber wir gehen von Tausenden von Opfern aus.“
Wahrscheinlich steigt die Zahl der Toten sogar über 10.000. Denn bis zum Sonntag passten die Informationen der Behörden aus dem Ort Guiuan, der am Freitagmorgen als erstes von „Haiyan“ verwüstet worden war, in einen Satz. „Die Stadt wurde völlig ruiniert.“ Über das Schicksal seiner 30.000 Einwohner ist nichts bekannt. Palo, ein Ort am Pan-Philippinischen Highway südlich von Tacloban, stand am Sonntag, mehr als 24 Stunden nach dem Besuch des Taifuns, immer noch unter dreieinhalb Meter tiefem Wasser.
Taifun "Haiyan" trifft Philippinen
Im Meer rund um Tacloban schwimmen Leichen neben Trümmern, die der Sturm ins Wasser geweht hat. Zwischen umgestürzten Autos, abgeknickten Laternenpfählen, Bäumen, die mangels Laubwerk wie stumme Zeugen ihre Äste gen Himmel recken, liegen verwesende Leichen in der Hafenstadt. Doch kaum jemand hat Zeit, sich um die Toten zu kümmern. Obdachlos, ohne Nahrung und ohne Wasser plündern die Bewohner die Geschäfte, die den Sturm halbwegs überstanden haben. Im einem Krankenhaus der 220.000 Einwohner zählenden Stadt sind bereits die Medikamente ausgegangen. Patienten kauern auf klatschnassen Matratzen.
Nachdem Plünderer alles leergeräumt haben, nimmt Verzweiflung ebenso zu wie die Angst vor Überfällen. Die Krankenschwestern der Armeeeinheit, die am Samstag mit einem Hubschrauber in die von der Außenwelt abgeschnittene Stadt vorgedrungen war, glaubten deshalb erst mal an einen Überfall, als eine schreiende junge Frau mit wirrem nassen Haar auf sie zustürzte. Dabei handelte es sich um eine angehende, junge Mutter, die wegen der schmerzenden Wehen brüllte und sich kurzerhand auf die Matratze warf, die die Schwestern gerade zu einem provisorischen Sanitätszentrum trugen.
Bald war das erste Baby nach der Katastrophe geboren. Es wird von der 18-jährigen Mutter „Yoonadale“ getauft – in Anlehnung an den Namen „Yolanda“, den philippinische Behörden dem Monstersturm mit Windgeschwindigkeiten über 300 Stundenkilometern gegeben haben, der im Rest der Welt „Haiyan“ genannt wird.
Taifun Haiyan verwüstet die Philippinen
Die Beschreibungen aus dem Katastrophengebiet stammen von dem Reporter der Tageszeitung „Inquirer“, der am Samstag mit einem Armeehubschrauber in die Region gelangte und abends zurückflog. Inzwischen teilten die Behörden mit, dass seit Sonntagabend (Ortszeit) die Straßenverbindung von Luzon nach Tacloban wieder befahrbar sei.
Von der Außenwelt abgeschnitten
Doch viele andere Regionen sind immer noch von der Außenwelt abgeschnitten. Wie eine gigantische Kreissäge zerfetzte der Sturm, der schlimmste im Reigen der 24 Taifune auf den Philippinen in diesem Jahr und der zerstörerischste seit Jahrzehnten, am Freitag von der Stadt Tacloban City im Osten der Philippinen bis Roxas City im Westen Wälder, Häuser, Menschen und die Lebensgrundlage von mehr als vier Millionen Filipinos.
Der Taifun hinterließ eine Schneise der Verwüstung, in der keine einzige „Barong-Barong“ stehen blieb. So heißen die baufälligen Hütten, in denen die meisten Filipinos leben. Jetzt sind ihre Unterkünfte zerstört. Fischer verloren ihre Boote. Bauern können die diesjährige Ernte abschreiben.
Große Teile des Katastrophengebiets sind immer noch nicht zu erreichen. Straßen wurden von Erdrutschen verschüttet. Flughäfen überschwemmt, die Landebahnen unterhöhlt. Die Welt mag Satelliten besitzen, die vom All faszinierende Bilder des riesigen Taifuns schießen. Auf der Erde vernichtete der Taifun in Minutenschnelle alle modernen, scheinbar selbstverständlichen Errungenschaften vom Mobiltelefonverkehr über Strom bis zur Wasserversorgung.
Hunderttausende Taifun-Opfer warten auf Hilfe
In Cebu beispielsweise wissen die Behörden nicht mehr ein noch aus. Bogo City und mehrere andere Städte wurden schwer beschädigt. Bis Sonntag fehlte jeder Kontakt zu der Insel Malapascua, die bei Sporttauchern beliebt ist. Luftaufnahmen zeigen totale Verwüstung.
Es wird Wochen dauern, bis die notwendigste Infrastruktur wieder funktioniert. Daran kann auch die Anwesenheit des deutschen „Technischen Hilfswerks“ (THW) und anderer Hilfsorganisationen wenig ändern, die am Sonntag bereits auf dem Weg zu den Philippinen waren. Die Regierung von Staatspräsident Benigno Aquino zögerte keine Sekunde, als das immense Ausmaß der Katastrophe bekannt wurde. Sie bat um ausländische Hilfe und lässt sich von den Vereinten Nationen bei der Bewältigung der Katastrophe unterstützen.
Doch es scheint, als ob diese Hilfe die Philippinen aus dem Ausland schneller erreicht als sie dann ins Katastrophengebiet geliefert werden kann. Denn die philippinischen Streitkräfte besitzen kaum Transportkapazitäten, um der immensen Herausforderung zu begegnen.
Die ersten Hilfsgüter – rund 24 Tonnen – aus Deutschland kamen bereits am Sonntag mit einem Lufthansa-Flug in Manila an. Doch im Katastrophengebiet waren am Wochenende fast alle Flughäfen nur per Hubschrauber erreichbar. Manila und die Vereinten Nationen planen, in den vier größten Städten im verwüsteten Gebiet sogenannte „Hubs“ einzurichten. Von dort soll die Hilfe dann weiter verteilt werden – wenn die Straßen soweit geräumt und repariert wurden, dass sie wieder halbwegs befahrbar sind.
„Wir können nur eins tun: am Leben bleiben“, spricht Mikos Santos, eine junge Mutter aus Cataisan in der Nähe von Tacloban City, aus, was für die meisten der Hunderttausenden Überlebenden gelten dürfte.
Am Montagmorgen dann brach Taifun "Haiyan" mit heftigem Wind und Dauerregen über die Küste Nordvietnams herein. Betroffen war auch die bei Touristen beliebte Ha Long-Bucht gut 120 Kilometer östlich von Hanoi. "Touristen sind nicht zu Schaden gekommen und nicht in Gefahr", sagte der Vizedirektor der Tourismusbehörde in der Provinz Quang Ninh, Tran Van Luan.
Die Bootsausflüge in die Bucht seien schon am Sonntag eingestellt worden. Am Dienstag gehe der Betrieb weiter. In der Region beginnt gerade die Hochsaison. Dort werden nach Angaben der Behörde täglich 2000 ausländische Touristen erwartet.
Der Taifun kam in Vietnam deutlich schwächer an Land als auf den Philippinen. Die Behörden hatten in Zentralvietnam 800.000 Menschen in Sicherheit gebracht, bevor der Taifun seinen Kurs Richtung Norden änderte. Nach ersten Berichten kam niemand ums Leben. "Der stellvertretende Regierungschef Hoang Trung Hai lobte die örtlichen Behörden für ihre guten Vorbereitungen", berichtete das Fernsehen.
Videografik: So entstehen Wirbelstürme
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