Sonntag, 10. November 2013

9. November: Sauna lud zur "romantischen Kristall-Nacht

SPIEGEL ONLINE

9. November: Sauna lud zur "romantischen Kristall-Nacht"

Aus Versehen geschmacklos: Die Therme "Kristall" macht gerne Wortspiele mit ihrem Namen. Zur Großansicht
Aus Versehen geschmacklos: Die Therme "Kristall" macht gerne Wortspiele mit ihrem Namen.
Am kommenden Samstag entspannen sich die Besucher des Sauna-Wellnessparks "Kristall" in Thüringen bei Kerzenschein bis Mitternacht. Von dem Angebot weiß man jetzt nicht nur in Bad Klosterlausnitz - denn der Veranstalter warb auf seiner Internetseite für die "lange romantische Kristall-Nacht".
Bad Klosterlausnitz - Dem Sauna-Wellnesspark "Kristall" im thüringischen Bad Klosterlausnitz ist offenbar ein Wortspiel mit seinem Namen gründlich daneben gegangen: Der Veranstalter warb auf seiner Internetseite für die "lange romantische Kristall-Nacht" - ausgerechnet am 9. November.

An diesem Tag jährt sich zum 75. Mal die Reichspogromnacht, in der Nationalsozialisten Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden zerstörten und in Brand steckten. Die Herkunft des Begriffs "Reichskristallnacht" ist zwar unklar, seine Verwendung jedoch unumstritten.Vor diesem Hintergrund klingt die Veranstaltung in der Therme besonders bitter: "Genießen Sie die Abendstunden im romantischen Licht der Kerzen und entspannen Sie bei heißen Aufgüssen! Bis 24 Uhr erleben Sie gefühlvolle Stunden in zauberhaftem Ambiente."
Das Autorenblog "Blogrebellen" veröffentlichte einen Screenshot der Seite und prompt folgten die bösen Kommentare auf Facebook. "Ich halte ihre Veranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht für pietätlos und unverschämt. Ich bitte, nein ich fordere Sie auf diese abzusagen", hieß es in zig Varianten im sozialen Netzwerk. Auch auf Twitter machte die Anzeige schnell die Runde.
Den Veranstaltern war dieser Fauxpas offenbar sehr unangenehm. Nachdem sie auf der Homepage den Namen von der "langen romantischen Kristall-Nacht" in die "lange romantische Nacht in der Kristalltherme" geändert hatten, folgte eine Entschuldigung auf ihrer Facebookseite:
"Sehr geehrte Gäste, in aller Form möchten wir uns für unsere unsensible Namensfindung für die Veranstaltung am 09.11.2013 entschuldigen. NATÜRLICH war das ausgesprochen unpassend. Ein kleinlauter Erklärungsversuch: Bei vielen unserer Veranstaltungen hängen wir aufgrund unseres Firmennamens häufig das Wort "Kristall" an. So auch dieses Mal. Wir bedauern das wirklich ausserordentlich und selbstverständlich war dies KEINE Absicht und glauben Sie uns, wir sind selbst ziemlich beschämt über unseren Fehler."
Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte sich das Management des Sauna-Wellnessparks nicht zur Sache äußern.
kbl




Der 9. November markierte in der deutschen Geschichte häufig einen epochalen Wendepunkt. Das jüngste historische Ereignis an diesem Tag war der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989, die 28 Jahre lang die beiden deutschen Staaten teilte. Am gleichen Datum 59 Jahre zuvor fand die gewaltsame Judenverfolgung in Deutschland einen ersten Höhepunkt. In der Nacht zum 9. November 1938 wurden auf Geheiß der nationalsozialistischen Führungsriege in ganz Deutschland Läden und Wohnungen jüdischer Mitbürger geplündert und zerstört, Synagogen in Brand gesetzt und Juden ermordet. Der Tag ging als Reichspogromnacht in die Geschichtsbücher ein. Doch die Ereignisse um das historische Datum reichen noch weiter zurück - ein Überblick: 

1848: Scheitern der Märzrevolution

 

"Ich sterbe für die Freiheit", lauteten die letzten Worte des Abgeordneten Robert Blums. Am 9. November 1848 wurde der Demokrat in Wien von den Truppen der Gegenrevolution erschossen. Das Ereignis markierte den Anfang vom Ende der so genannten Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes. Begonnen hatte das revolutionäre Zeitalter in Frankreich, es erfasste nahezu ganz Europa und erreichte schließlich auch Deutschland. Geistiges Fundament der Revolutionsbewegung war die Forderung nach einer Verfassung, die den Ausgleich von monarchischer Autorität und Volkssouveränität bringen sollte. Zudem standen im Mittelpunkt die nationale Frage - die Forderung nach nationaler Einheit und Unabhängigkeit - und die soziale Frage, insbesondere die Forderung nach vollständiger Bauernbefreiung und sozialer Sicherung der freien Lohnarbeiter. Doch der erste Versuch, Deutschland als Teil einer europäischen Modernisierung nach freiheitlichen und nationalen Leitvorstellungen auszurichten, scheiterte an dem Widerstand der reaktionären Kräfte. 

1918: Novemberrevolution 



Im Herbst 1918 überschlugen sich im Deutschen Reich die Ereignisse. Angesichts der bereits feststehenden Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg wurde der Ruf nach Frieden und der Abdankung des Kaisers lauter. Es kam zu einer Revolutionsbewegung. Betriebe wurden bestreikt, in vielen Städten bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Am 9. November erfasste die Revolution auch Berlin, wo Reichskanzler Prinz Maximilian von Baden aus Sorge vor einem radikalen politischen Umsturz eigenmächtig die Abdankung des Kaisers bekannt gab. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann rief daraufhin von einem Balkon des Berliner Reichstags die erste deutsche Republik aus und besiegelte damit das Ende der Hohenzollernherrschaft. Doch die junge Republik hatte es von Anfang an schwer: Ihr fehlte es an Rückhalt in der Bevölkerung, an Geschlossenheit und Unterstützung durch die exekutive Gewalt. Massenarbeitslosigkeit, Kriegsschäden und Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg stellten die Weimarer Demokratie vor eine Zerreißprobe. Europaweit erlangten antidemokratische Strömungen Aufwind und lieferten den Nährboden für den aufkommenden Nationalsozialismus. 

1923: Hitler-Ludendorff-Putsch

 

Inflation, kommunistische Unruhen und die französische Besetzung des Ruhrgebietes begünstigten Anfang der 1920er Jahre die Entstehung reaktionärer und nationalistischer Strömungen. In dieser instabilen politischen Lage plante Adolf Hitler als Parteiführer der NSDAP in München einen gewaltsamen Putsch. Sein Ziel war es, die Regierung in Berlin abzusetzen und selbst die Macht in einer nationalen Diktatur zu erringen. Am Sonntagmorgen des 9. November 1923 marschierte Hitler zusammen mit General Erich Ludendorff und weiteren Anhängern zur Feldherrnhalle in München. Doch die bayerische Polizei stoppte den Marsch und damit auch Hitlers Versuch, gewaltsam an die Macht zu gelangen. Die NSDAP wurde daraufhin verboten, Hitler zu fünf Jahren Haft verurteilt. Zehn Jahre später gelang es ihm auf legalem Wege an die Macht zu gelangen. 

1938: Novemberpogrom

 

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 organisierten SA-Truppen und Angehörige der SS gewalttätige Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung. Mehrere hundert Synagogen wurden in Brand gesetzt, mindestens 8000 jüdische Geschäfte zerstört sowie zahllose Wohnungen verwüstet. Zwischen 90 und 100 Juden wurden erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt. In den Tagen darauf wurden im ganzen deutschen Reich etwa 30000 jüdische Männer verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Die antisemitischen Ausschreitungen waren von der nationalsozialistischen Führung organisiert, die die Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Bürger seit der "Machtergreifung" Hitlers 1933 systematisch vorantrieb. Die Nacht des 9. Novembers 1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichtsbücher ein. 

1989: Fall der Berliner Mauer

 

"Ab sofort." So lautete die knappe Antwort des DDR-Politbüro-Mitglieds Günter Schabowski auf die Frage eines Reporters, wann die beschlossene Reiseregelung in Kraft trete. Mit dieser neuen Freiheit besiegelte er am 9. November 1989 nach 28 Jahren den Fall der Mauer. Unter dem Druck der tausendfachen Ausreise von DDR-Bürgern über Ungarn und der Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen ostdeutschen Städten zerfiel das SED-Regime in der DDR. Am 4. November 1989 versammelten sich mehr als 500.000 Demonstranten zu einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz, nur vier Tage später trat das SED-Politbüro geschlossen zurück. Am Abend des 9. November verkündete SED-Pressesprecher und Politbüromitglied Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz überraschend die sofortige Öffnung der Mauer. Daraufhin strömten tausende Ostberliner an die Grenzübergänge ihrer Stadt. Gegen 23.30 konnten am Grenzübergang Bornholmer Straße die Kontrolleure dem Andrang der Menschen nicht mehr standhalten. Der Übergang wird geöffnet. Bis Mitternacht sind alle Berliner Grenzübergänge offen. Der Weg zur deutschen Wiedervereinigung war frei.

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