Türkei-Abkommen beim EU-Gipfel: Harter Kampf um Details des Flüchtlings-Deals
Die EU und die Türkei wollen mit einem Deal die Flüchtlingskrise lösen. Doch die Verhandlungen sind vor dem Gipfel festgefahren, es gibt etliche Probleme. Wurde der Regierung in Ankara zu viel versprochen?
Es soll der Durchbruch im Kampf gegen die Flüchtlingskrise sein: Am Donnerstag und Freitag will die EU mit der Türkei den Plan zur Lösung der Flüchtlingskrise beschließen. Läuft alles reibungslos, sollen die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag eine gemeinsame Position finden und sich am Freitagmorgen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu einigen.
Doch das Paket, mit dem Davutoglu und Kanzlerin Angela Merkel die restliche EU beim Gipfel am vergangenen Montag überrumpelt haben, enthält zahlreiche offene Fragen und Fallstricke. Der Plan könne eigentlich kaum funktionieren, sagt ein EU-Diplomat - und jetzt arbeite man daran, ihn eben doch irgendwie in die Tat umzusetzen.
Derzeit geht es vor allem um folgende Punkte:
Das 1:1-System: Ankara will alle Flüchtlinge, die irregulär von der Türkei aus nach Griechenland kommen, zurücknehmen. Für jeden zurückgeführten Syrer soll ein syrischer Kriegsflüchtling auf legalem Weg von der Türkei in die EU kommen. Dieses Prozedere soll das Geschäft der Schlepper zerstören und an Migranten ein deutliches Signal senden: Ab jetzt gibt es nur noch den legalen Weg in die EU. Wer dennoch beim Versuch der irregulären Einreise erwischt wird, muss sich dann ganz hinten anstellen.
Bei der Rücknahme von Flüchtlingen durch die Türkei gibt es allerdings menschenrechtliche Bedenken. Zwar drohen ihnen in der Türkei weder Tod noch Folter. Und wenn Griechenland die Türkei wie vorgesehen als sicheres Drittland anerkennt, wäre nach dem EU-Asylrecht auch eine Abschiebung dorthin erlaubt. Allerdings sieht das EU-Recht auch vor, dass jeder Asylantrag einzeln geprüft wird und ein Widerspruch möglich ist. "Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf kann auch durch die Anerkennung der Türkei als sicherer Drittstaat nicht ausgehebelt werden", sagt Urs Pötzsch vom Freiburger Centrum für Europäische Politik (cep).
EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans beteuerte am Mittwoch, das Recht auf ein individuelles Asylverfahren mit der Chance zur Berufung bleibe bestehen und es werde auch "keine kollektiven Abschiebungen" aus Griechenland geben. Dennoch müsse die Prüfung "nicht unbedingt Monate dauern".
Hoffnung auf schnelles Ende des irregulären Zustroms
Ohnehin sei das 1:1-System nur eine "außergewöhnliche und vorübergehende Maßnahme", heißt es in einem Entwurf für die EU-Türkei-Einigung. Ihr Ziel sei, die Einreise irregulärer Flüchtlinge zu stoppen. Bei der Bundesregierung ist man überzeugt, dass das schnell gehen wird - weshalb auch nicht mit besonders großen Zahlen beim Austausch Syrer gegen Syrer zu rechnen sei. Man wolle auf das im Juli 2015 von der EU beschlossene Programm zur Umsiedlung von 22.000 Flüchtlingen zurückgreifen. 18.000 Plätze seien noch ungenutzt, und sie würden voraussichtlich genügen, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Hinzu kommen könnten weitere 54.000 ungenutzte Plätze aus der im vergangenen September beschlossenen Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen.
72.000 ist allerdings eine geradezu winzige Zahl im Vergleich zu den 2,7 Millionen Flüchtlingen, die in der Türkei leben. Deshalb soll der nächste Schritt ein humanitäres Umsiedlungsprogramm sein: Die EU soll in den nächsten Jahren vermutlich Hunderttausende von ihnen aufnehmen. Doch wie viele genau es sein sollen und wer sie aufnimmt, ist völlig unklar. Mehrere EU-Staaten, insbesondere in Osteuropa, verweigern sich bisher einer Aufnahme von Flüchtlingen im großen Maßstab. In Brüssel und Berlin hofft man, dass sich das ändert, wenn der irreguläre Zustrom erst einmal gestoppt ist. Ob diese Hoffnung aber berechtigt ist, steht in den Sternen.
Die Visa-Liberalisierung für türkische Bürger ist eine weitere, für Ankara enorm wichtige Forderung. Die Türkei soll 72 Bedingungen erfüllen, um die Visa-Erleichterung zu bekommen. Doch die jüngste Bilanz, die die EU-Kommission am 4. März vorlegte, liest sich ernüchternd: Mehr als drei Dutzend Punkte sind noch nicht erfüllt. Und darunter befinden sich "nicht nur marginale Fragen", wie cep-Experte Pötzsch bemerkt. Die Türkei soll unter anderem
- ihre Grenze nach Griechenland so gut kontrollieren, dass die Zahl der irregulären Migranten stark sinkt.
- Reisepässe einführen, die den Sicherheitsstandards der EU entsprechen,
- einen Aktionsplan zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen beschließen,
- Gesetze zum Kampf gegen Korruption und zum Schutz personenbezogener Daten erlassen,
- ihre Terrorismus-Gesetzgebung auf EU-Standard bringen,
- die Nichtdiskriminierung von Minderheiten - und damit auch der Kurden - gesetzlich festschreiben.
Führende Politiker aus der EU zeigen sich daher skeptisch. "Natürlich müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten, aber nicht um jeden Preis", sagte Mikl-Leitner am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". Die Türkei dürfe nach Einschränkungen der Pressefreiheit nicht mit Verhandlungen für eine Visa-Liberalisierung belohnt werden. "Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir uns noch ernst nehmen." Die EU dürfe bei einem Deal mit Ankara nicht die eigenen Werte über Bord werfen.
Ursprünglich sollten die Türken ab Oktober visafrei reisen dürfen. Schon das bezeichnete die Kommission in ihrem Bericht vom 4. März als "ehrgeizig". Beim Gipfel am vergangenen Montag aber hat die EU den Termin auf den 1. Juli vorgezogen. Nicht wenige Experten halten es für schlicht unmöglich, dass das ohne Tricks gelingen kann - zumal die EU-Kommission den Türken zuvor den Erfolg bescheinigen und dann auch noch das EU-Parlament seinen Segen erteilen muss
ürkei-Abkommen beim EU-Gipfel: Harter Kampf um Details des Flüchtlings-Deals
Die EU und die Türkei wollen mit einem Deal die Flüchtlingskrise lösen. Doch die Verhandlungen sind vor dem Gipfel festgefahren, es gibt etliche Probleme. Wurde der Regierung in Ankara zu viel versprochen?
Es soll der Durchbruch im Kampf gegen die Flüchtlingskrise sein: Am Donnerstag und Freitag will die EU mit der Türkei den Plan zur Lösung der Flüchtlingskrise beschließen. Läuft alles reibungslos, sollen die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag eine gemeinsame Position finden und sich am Freitagmorgen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu einigen.
Doch das Paket, mit dem Davutoglu und Kanzlerin Angela Merkel die restliche EU beim Gipfel am vergangenen Montag überrumpelt haben, enthält zahlreiche offene Fragen und Fallstricke. Der Plan könne eigentlich kaum funktionieren, sagt ein EU-Diplomat - und jetzt arbeite man daran, ihn eben doch irgendwie in die Tat umzusetzen.
Derzeit geht es vor allem um folgende Punkte:
Das 1:1-System: Ankara will alle Flüchtlinge, die irregulär von der Türkei aus nach Griechenland kommen, zurücknehmen. Für jeden zurückgeführten Syrer soll ein syrischer Kriegsflüchtling auf legalem Weg von der Türkei in die EU kommen. Dieses Prozedere soll das Geschäft der Schlepper zerstören und an Migranten ein deutliches Signal senden: Ab jetzt gibt es nur noch den legalen Weg in die EU. Wer dennoch beim Versuch der irregulären Einreise erwischt wird, muss sich dann ganz hinten anstellen.
Bei der Rücknahme von Flüchtlingen durch die Türkei gibt es allerdings menschenrechtliche Bedenken. Zwar drohen ihnen in der Türkei weder Tod noch Folter. Und wenn Griechenland die Türkei wie vorgesehen als sicheres Drittland anerkennt, wäre nach dem EU-Asylrecht auch eine Abschiebung dorthin erlaubt. Allerdings sieht das EU-Recht auch vor, dass jeder Asylantrag einzeln geprüft wird und ein Widerspruch möglich ist. "Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf kann auch durch die Anerkennung der Türkei als sicherer Drittstaat nicht ausgehebelt werden", sagt Urs Pötzsch vom Freiburger Centrum für Europäische Politik (cep).
EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans beteuerte am Mittwoch, das Recht auf ein individuelles Asylverfahren mit der Chance zur Berufung bleibe bestehen und es werde auch "keine kollektiven Abschiebungen" aus Griechenland geben. Dennoch müsse die Prüfung "nicht unbedingt Monate dauern".
Hoffnung auf schnelles Ende des irregulären Zustroms
Ohnehin sei das 1:1-System nur eine "außergewöhnliche und vorübergehende Maßnahme", heißt es in einem Entwurf für die EU-Türkei-Einigung. Ihr Ziel sei, die Einreise irregulärer Flüchtlinge zu stoppen. Bei der Bundesregierung ist man überzeugt, dass das schnell gehen wird - weshalb auch nicht mit besonders großen Zahlen beim Austausch Syrer gegen Syrer zu rechnen sei. Man wolle auf das im Juli 2015 von der EU beschlossene Programm zur Umsiedlung von 22.000 Flüchtlingen zurückgreifen. 18.000 Plätze seien noch ungenutzt, und sie würden voraussichtlich genügen, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Hinzu kommen könnten weitere 54.000 ungenutzte Plätze aus der im vergangenen September beschlossenen Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen.
72.000 ist allerdings eine geradezu winzige Zahl im Vergleich zu den 2,7 Millionen Flüchtlingen, die in der Türkei leben. Deshalb soll der nächste Schritt ein humanitäres Umsiedlungsprogramm sein: Die EU soll in den nächsten Jahren vermutlich Hunderttausende von ihnen aufnehmen. Doch wie viele genau es sein sollen und wer sie aufnimmt, ist völlig unklar. Mehrere EU-Staaten, insbesondere in Osteuropa, verweigern sich bisher einer Aufnahme von Flüchtlingen im großen Maßstab. In Brüssel und Berlin hofft man, dass sich das ändert, wenn der irreguläre Zustrom erst einmal gestoppt ist. Ob diese Hoffnung aber berechtigt ist, steht in den Sternen.
Die Visa-Liberalisierung für türkische Bürger ist eine weitere, für Ankara enorm wichtige Forderung. Die Türkei soll 72 Bedingungen erfüllen, um die Visa-Erleichterung zu bekommen. Doch die jüngste Bilanz, die die EU-Kommission am 4. März vorlegte, liest sich ernüchternd: Mehr als drei Dutzend Punkte sind noch nicht erfüllt. Und darunter befinden sich "nicht nur marginale Fragen", wie cep-Experte Pötzsch bemerkt. Die Türkei soll unter anderem
- ihre Grenze nach Griechenland so gut kontrollieren, dass die Zahl der irregulären Migranten stark sinkt.
- Reisepässe einführen, die den Sicherheitsstandards der EU entsprechen,
- einen Aktionsplan zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen beschließen,
- Gesetze zum Kampf gegen Korruption und zum Schutz personenbezogener Daten erlassen,
- ihre Terrorismus-Gesetzgebung auf EU-Standard bringen,
- die Nichtdiskriminierung von Minderheiten - und damit auch der Kurden - gesetzlich festschreiben.
Führende Politiker aus der EU zeigen sich daher skeptisch. "Natürlich müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten, aber nicht um jeden Preis", sagte Mikl-Leitner am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". Die Türkei dürfe nach Einschränkungen der Pressefreiheit nicht mit Verhandlungen für eine Visa-Liberalisierung belohnt werden. "Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir uns noch ernst nehmen." Die EU dürfe bei einem Deal mit Ankara nicht die eigenen Werte über Bord werfen.
Ursprünglich sollten die Türken ab Oktober visafrei reisen dürfen. Schon das bezeichnete die Kommission in ihrem Bericht vom 4. März als "ehrgeizig". Beim Gipfel am vergangenen Montag aber hat die EU den Termin auf den 1. Juli vorgezogen. Nicht wenige Experten halten es für schlicht unmöglich, dass das ohne Tricks gelingen kann - zumal die EU-Kommission den Türken zuvor den Erfolg bescheinigen und dann auch noch das EU-Parlament seinen Segen erteilen muss.
Und dann wäre da noch das Zypern-Problem. Die Türkei hält den Nordteil der Insel seit Jahrzehnten militärisch besetzt und erkennt die Regierung Zyperns nicht an. Die aber ist EU-Mitglied und blockiert im Gegenzug die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die nun laut dem Flüchtlingsdeal beschleunigt werden sollen. Zypern, sagte ein ranghoher EU-Diplomat, droht derzeit mit einer Blockade der gesamten EU-Türkei-Einigung - unter anderem, weil es sich seit Monaten übergangen fühlt.
Ankara ist offenbar alarmiert: Man dürfe nicht zulassen, sagte der türkische Minister für EU-Angelegenheiten Volkan Bozkir in einem TV-Interview, dass das gesamte Flüchtlingspaket "durch die Laune eines EU-Mitglieds ruiniert wird".
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