http://www.nzz.ch/international/abhoeren-unter-freunden-geht-ganz-gut-1.18364841
Die Aktivitäten des BND
Abhören unter Freunden geht ganz gut
Auch Deutschland bespitzelt laut Medienberichten Politiker und Länder, die als Freunde oder Partner gelten. Die Regierung rechtfertigt sich, im Ausland wird protestiert, die Opposition fordert eine rasche Aufklärung.
Das Ausspähen von Freunden ist doch keine genuin amerikanische Sünde. Wie diverse deutsche Medien am Wochenende berichteten, hat die deutsche Auslandspionage, der Bundesnachrichtendienst, 2012 bei Abhöraktionen im Nahen Osten zufällig ein Gespräch der damaligen amerikanischen Aussenministerin Hillary Clinton und ein Jahr später eines ihres Amtsnachfolgers John Kerry mitgeschnitten. Laut diesen Angaben, die sich auf die Auswertung von Dokumenten stützen, die ein im Juli verhafteter BND-Spion den Amerikanern übergab, waren diese Mitschnitte nicht beabsichtigt. Vielmehr soll es sich um im Zuge anderer Abhöraktionen generiertes Material handeln. Zudem soll die Regierung Kanzlerin Merkels den BND bereits im Jahre 2009 beauftragt haben, die Türkei zu überwachen.
Ein «Staat im Staat»?
Umstritten sind diese Angaben nicht. Zwar schwieg der Bundesnachrichtendienst am Wochenende, doch die Regierung erklärte sich rasch. Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, der Christlichdemokrat Sensburg, betonte, es gehöre nicht zu den Gepflogenheiten deutscher Nachrichtendienste, ausländische Politiker «gezielt» auszuhorchen. Fielen zufälligerweise dennoch Erkenntnisse an, müssten diese gelöscht werden. In den Berliner «Regierungskreisen», die jeweils als halboffiziell gelten können, hiess es am Wochenende, niemand habe behauptet, der Nato-Partner Türkei werde behandelt wie etwa die Vereinigten Staaten oder europäische Partner. Dennoch wurde bereits heftige Empörung ventiliert. Die Linken und die Grünen, die die Opposition bilden, verlangen rasche und umfassende Aufklärung, ein Mitglied der Linkspartei sagte, dramatisch übertreibend, der BND sei ein «Staat im Staat». In der Türkei gaben Politiker zu Protokoll, Deutschland benehme sich nicht besser als die National Security Agency, deren Aktivitäten in Berlin harsch verurteilt worden waren. Dies sei heuchlerisch. Kerry soll bereits bei seinem deutschen Amtskollegen Steinmeier protestiert haben.
Die Neuigkeiten sind interessant, aber keine Sensation. Dass der BND im Nahen Osten spioniert, versteht sich. Das tun alle, und zwar, wie die dramatischen Geschehnisse der letzten Jahre und nun der Vormarsch des Islamischen Staates zeigen, mit gutem Grund. Dass den Datenfischern dabei Beifang ins Netz geht, ist normal; dass dies auch für die Kommunikation hoher Politiker wie Clinton und Kerry gelten soll, erscheint allerdings sonderbar. Eine ganz andere Frage ist, ob die zufälligerweise gesammelten Informationen über Freunde auch tatsächlich wieder gelöscht werden, wie aus Geheimdienstkreisen verlautete. Man kann das glauben oder auch nicht – vor dem Hintergrund, dass die, die einst empfahlen, den Amerikanern alles zu glauben, als hoffnungslose Naivlinge abgetan wurden, empfiehlt sich eine gewisse Skepsis. Sicher, das legislativ und juristisch wohltuend pedantische Deutschland ist einer der wenigen Staaten weltweit, die ab und zu in Versuchung geraten könnten, ihre eigenen Regeln einzuhalten. Doch wie man weiss, tun Geheimdienstler nicht immer das, was sie tun sollten, mehr: es scheint bei ihnen geradezu eine Tugend zu sein, Grenzen zu übertreten. Man sollte deshalb die Beteuerungen aus Pullach mit einem gestrichenen Esslöffel Salz zur Kenntnis nehmen.
Heuchelei allenthalben
Dass die Türkei abgehört wird, und zwar als «Kernland» nachrichtendienstlicher Neugier, ist vollends klar. Die Türkei ist in dieser Region das, was die Schweiz während der Weltkriege war: das Eldorado der Schlapphüte. Nicht in der Türkei zu spionieren, wäre weltfremd bis landesverräterisch. Im Landesinneren sind die Konflikte mit den Kurden, vor allem jene mit der PKK, von Interesse, dazu kommen die Aktivitäten linksextremistischer und nationalistischer Organisationen, von denen viele deutsche Ableger haben. Jenseits der Grenze interessieren der Islamische Staat und die anderen sunnitischen Gruppen, zu denen pausenlos Kämpfer stossen, die die Türkei entweder passiert haben oder sogar in der Türkei rekrutiert worden sind, was für westliche Geheimdienste ebenfalls von brennendem Interesse ist. Die Türkei weiss all das genau, und als Nato-Staat profitiert sie enorm von diesen Erkenntnissen.
Dass das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara durch die neuesten Enthüllungen arg strapaziert wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Man weiss in Ankara seit langem, dass Merkel, viele ihrer CDU-Freunde und vor allem die Christlichsozialen in Bayern der Vorstellung einer EU-Mitgliedschaft Ankaras nichts abgewinnen können. Die Spannungen sind bereits da, sie können nur noch vertieft werden. In Berlin misstraut man der demokratischen Zuverlässigkeit des jetzigen Regierungschefs und künftigen Präsidenten Erdogan. Merkel und Präsident Gauck haben ihn öffentlich kritisiert. Der «grosse Meister» vom Bosporus fühlt sich bevormundet, durch die Verzögerungstaktik in Sachen EU zurückgesetzt, teilweise auch falsch verstanden, und seine Anhänger sind mit ihm.
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